Flaschenpost an Sophia







Immer, wenn wir von Dir erzählen, fallen Sonnenstrahlen in unsere Seelen.
Unsere Herzen halten Dich gefangen, so, als wärst du nie gegangen.
Was bleibt, sind die Liebe und Erinnerung.

Dieser Brief erzählt das viel zu kurze Leben unserer viel zu früh von uns gegangenen und so geliebten Tochter Sophia. Sie liebte die Farbe Grün, neben den deftigen Speisen Toast mit Leberwurst (Bärchen Leberwurst) und feine Bratwurst mit Erbsen.


Alles fing so „normal" mit der Geburt am 26. Februar 2013 von unserer Mulle(knulle) – wie wir sie liebevoll nannten – an. Sophia entwickelte sich altersgerecht, lernte Laufen/Gehen und erste Worte zu sprechen. Alles war gut, bis zum 31. Oktober 2014, dem Tag, der unser Leben völlig aus den Fugen riss. Wir dachten, Sophia hätte einen Schiefhals, doch als sie linksseitig Lähmungserscheinungen zeigte, ließen wir ein MRT des Kopfes machen. Und die schlimmsten Befürchtungen wurden leider wahr.


Die Ärzte diagnostizierten einen Tumor in der „Pons" (der „Brücke" des Stammhirns); dort, wo alle lebensnotwendigen Nervenbahnen liegen. Sofort wurden wir nach Mainz in die Kinderonkologie der Universität verlegt, wo der Leidensweg unserer so stolzen und tapferen Tochter begann.


Unzählige Untersuchungen wie CT, MRT, Ultraschall, Hörtest, Sehtest, Blutentnahmen, Zugänge in Hand- und Fußrücken sowie Vollnarkosen waren die Folge. Durch die hohe Cortisongabe, um die Schwellung im Kopf zu lindern, verhielt sich Sophia wie im Hamsterrad. Sie hatte Heißhunger und war auch öfters launig.


Aber ein Lächeln hatte Sophia immer auf den Lippen und baute uns, das waren während der ganzen Zeit meine Frau, meine  Schwiegermutter und ich selbst, zu jederzeit wieder auf.


Waren wir doch voller Tränen! Die Ärzte gaben uns keine gute Prognose für Sophia, denn dieser Tumor war inoperabel. Nur den hervorragenden Ärzten der Kinderonkologie in Mainz und der Rundum-Betreuung durch meine Frau und Schwiegermutter war es zu verdanken, dass wir trotz aller Prognosen und Strapazen 19 Monate Zeit mit unserem Sonnenschein Sophia gewonnen haben. In dieser Zeit hat Sophia uns so viel gegeben.


Dafür sind wir unserer großartigen Maus unendlich dankbar. Sie hat uns die Kraft gegeben, mit ihr diese Strapazen durchzustehen. Sophia war die Stärkste von uns allen, egal zu welcher Uhrzeit. Und mussten wir nachts zu einer der insgesamt 17 Bluttransfusionen oder wegen Fiebers in die Klinik ... EGAL ... Sophia hatte stets ihr unnachahmliches Lächeln im Gesicht.







Doch der Reihe nach ...


Wir nahmen parallel zu Mainz auch Kontakt zur Uni Heidelberg auf. Dort kam Sophia in zwei Studien; eine spezielle Chemotherapie mit insgesamt 16 Chemoblöcken und eine Studie, in der nach genetischen Defekten oder sonstigen Merkmalen im Tumorgewebe geschaut wird, um dann ein entsprechendes Medikament dagegen zu finden. Dafür ist aber Tumorgewebe notwendig. Also schickte uns die Uni Mainz nach Heidelberg, um in diese zwei Studien zu gelangen. Wir entschieden uns zu der offenen Biopsie, in der Sophia in einer neunstündigen Hirn-OP eine große Erbse Tumorgewebe entnommen werden konnte. Ein großes Risiko angesichts der Lage des Tumors, aber glücklicherweise hat Sophia die OP gut überstanden. Am 23. Dezember 2014 um 19.23 Uhr bekamen wir nach endlosem Warten die Nachricht, um welchen Tumor es sich bei Sophia handelte: Ein Astrozytom GRAD III! Durch die offene Biopsie wurde bestätigt, was leider vermutet wurde: der Tumor hat sich aus einer entarteten Zelle entwickelt und ist mit den Nervensträngen verwachsen, also inoperabel.


Nun begannen am 8. Januar 2015 die 16 Chemoblöcke in Heidelberg. Die Kontrollen des Blutes, die sonstigen Untersuchungen sowie die Bluttransfusionen fanden in Mainz statt. Eine gute Entscheidung, zwei Universitäten im Boot zu haben.







150 Tage Krankenhaus waren die Bilanz des Jahres 2015. Aber Sophia kämpfte sich stolz und lächelnd zurück. Ihre linksseitige Lähmung verschwand, und am 17. Mai 2015 konnte Sophia wieder allein laufen (Christi Himmelfahrt). Sophia wuchs sogar während der Chemo 10 Zentimeter und bekam Zähne. Ihren Lebensmut, Lebenswillen und Ihre einzigartige Lebensfreude imponierte sogar den Ärzten, vor allem den sehr menschlichen Ärzten in Mainz.


Wir nutzen das Geschenk und unternahmen viel mit Sophia in der Zeit der Erholung zwischen den Chemoblöcken. Rheingau, Autofähre über den Rhein, diverse Tierparks in der Umgebung, Essen gehen, Auto fahren, Enten und Schwänen Futter geben, Wilma (ein Papagei in einem Gutshof) besuchen... alles Sachen, auf die Sophia Lust hatte, die sie unternehmen wollte.... ach ja ... MC Donalds musste auch manchmal mit zwei Kids-Menüs pro Tag daran glauben.


Sophia hatte es verdient, dass wir all dies mit ihr unternahmen. Oh ja, das hat sie. Und einen starken Willen hatte sie auch noch. Bitter notwendig bei dieser Krankheit. Sophia vermochte durch ihre Art alle Menschen, die sie trafen, schnell für sich zu gewinnen und um ihren berühmten Zeigefinger zu wickeln.







Am 25. November 2015 lief die letzte Chemo durch; genau ein Jahr nach der Hirn-OP. Das MRT am 9. Dezember 2015 brachte bereits eine erste Ernüchterung; der Tumor war größer geworden. Klinisch zeigte sich Sophia stabil und entwickelte sich weiter. Intelligent war sie, unser Sonnenschein, mehr als sie in Worten ausdrücken konnte. Es reifte jedoch die Vermutung, dass auch die Gabe der Medikamente, die aus der ersten Biopsie herauskamen, ein Epilepsie- und ein Wurmmittel, nicht mehr wirkten, weil der Tumor resistent dagegen geworden war.


Die Ärzte sagten: „So ein tolles Mädchen wie Sophia hat es verdient, weiter um sie zu kämpfen!"


Das MRT im Februar 2016 bestätigte das Wachstum des Tumors. Wir entschlossen uns zu einer weiteren Biopsie, um hoffentlich wieder alternative Medikamente für Sophia zu finden, da ihr Körper nicht weiter so viel Gift durch Chemos vertragen würde. Eine Bestrahlung eines Tumors in dieser Lage im Kopf würde auch nur kurze Zeit helfen.


Sophias Zustand verschlechterte sich leider auch ab Mitte Februar 2016. Ein Zeichen, dass der Tumor nun wirklich wieder größer wurde. Der Wettlauf mit der Zeit spitzte sich immer weiter zu. Wir mussten eine erneute Biopsie vornehmen lassen und vertrauten dabei dem 79-jährigen Prof. Dr. Madjid Samii, Inhaber des INI Hannover. Einer der weltbesten Neurochirurgen.


Am 17. März 2016 wurde Sophia zum zweiten Mal an der kritischen Stelle operiert. Diesmal aber in nur vier Stunden statt neun Stunden. Das gewonnene Tumormaterial brachte ich dann zur genetischen Untersuchung nach Mainz, wo wir in der Hoffnung waren, drei Wochen später Ergebnisse in Form von Medikamenten zu haben, unser letzter Strohhalm.






Sophia erholte sich von dieser OP überraschend schnell und auch hier wickelte sie wieder zwei Sanitäter der hannoverischen Berufsfeuerwehr, die unsere tapfere Maus von der Intensivstation der Universität Hannover ins INI Hannover verlegten, um ihren Finger. Und das so sehr, dass die Beiden später am Tag extra nochmal vorbeikamen, um Sophia ein Glücksschwein zu schenken und sie einzuladen, die Feuerwache zu besuchen. Schließlich mochte Sophia doch so gerne Blaulicht und Sirene. Zehn Tage nach der OP wurden wir entlassen, besuchten die zwei Sanitäter und besichtigten die Feuerwache mit den Fahrzeugen. Sophia bekam ihr unnachahmliches Lächeln zurück, als sie in die High-Tech-Fahrzeuge schauen durfte. Es gab sogar einen echten Alarm, und ein Fahrzeug rückte mit Tatü-Tata aus. Die beiden Männer gaben zu, dass sie das Schicksal von Sophia sehr, sehr berührt habe und sie Sophia von Herzen alles Gute wünschen.


Leider hat all das Daumen-Drücken nicht geholfen: Sophias Tumor war so kompliziert, dass aus den drei Wochen fünfeinhalb Wochen wurden, bis Ergebnisse vorlagen. Dann endlich wurden drei Medikamente gefunden, alle gegen Entzündungen. Sophias Immunsystem trieb praktisch das Wachstum des Tumors. Diesen Fall hatte Mainz und Heidelberg bis dato in den Studien, an denen Sophia teilnahm, noch nicht gehabt.


So dauerte es – als Folge der Kompliziertheit- wieder zehn Tage, bis ein Mittel gegen Multiple Sklerose bei Erwachsenen so in Tablettengröße gebracht werden konnte, dass Sophia sie hätte schlucken können. Hätte können!!! Inzwischen war leider die Zeit zu weit fortgeschritten. Sophia wollte nicht mehr. Da sind wir uns alle, auch die Ärzte, sicher. Sophia hat selbst entschieden, nicht mehr zu kämpfen. Nach einer Gallenkolik, einem Leberstau und einer Blasenentzündung wollte Sophia keine Medikamente mehr schlucken und verwehrte sich gegen alles. Selbst Infusionen bei einer Heilpraktikerin über ihren Hickman-Katheter wollte Sophia nicht mehr.


Sie hatte auch ihr berühmtes Lächeln verloren.



Am 24. April 2016 sind wir nach Mainz gefahren, um zunächst Sophias Blasenentzündung behandeln zu lassen. Wir hofften noch immer. Am 29. April 2016 war die Tablette fertig, aber leider war sie nicht als Zäpfchen, Infusion oder in Wasser aufgelöst zu geben. Sophia musste sie schlucken, aber das wollte und konnte sie nicht mehr.


Am 2. Mai 2016 ließen wir Sophia in ein künstliches Koma legen, nachdem sie nachts ihren ersten und einzigen Krampfanfall bekommen hatte. Für uns nun das Zeichen, unsere Sophia, unsere Mulle, unseren Sonnenschein, unsere Mauselaus, unseren tapferen Engel, unsere Schmusi-Maus nicht weiter leiden sehen zu dürfen. Bis zum 19. Mai 2016 hat uns Sophia Zeit gegeben, dass wir und all ihre Begleiter sich von ihr verabschieden konnten. Um 8.23 Uhr ist sie in den Armen ihrer Mama, ihrer Großmutter und in meinen Armen ruhig und friedlich eingeschlafen. Nun kann Sophia in Frieden ruhen. Dieses Einschlafen wünschten wir uns für unsere tapfere Maus. Sofern man von „wünschen" sprechen kann! Wie bei allem zuvor, hat Sophia auch diesen Weg so bestimmt und mit unglaublicher Würde, Stärke, Größe und Tapferkeit gemeistert.



Eine ganz große Persönlichkeit, unsere Sophia - die „Weise", wie „Sophia" übersetzt heißt. Stets zog sie alle in Ihren Bann. Ärzte, Pfleger und Schwestern kamen sogar an ihren freien Tagen oder nach Feierabend, um sich persönlich von Sophia zu verabschieden. Sie zogen sich sogar in grün an – Grün war Sophias Lieblingsfarbe – ja, Hoffnung hat Sophia uns immer gegeben. Alle verabschiedeten sich von Sophia. Bis zu zwölf Freunde standen rund um ihr Bett, sei es im Zimmer oder auf dem Balkon, sei es malend oder töpfernd (meist etwas mit Eulen, die Sophia so mochte). Sie sangen Lieder mit dem einzigartigen Klinikseelsorger und seiner Gitarre. Ebenso haben viele Sophia eine Geschichte vorgelesen. Besonders erinnern wir uns an die Geschichte eines grünen Luftballons, nachts vor dem Tod von Sophia. Dieser Ballon, der dann zum Himmel aufstieg. Als ob Sophia dies gehört und sich zu eigen gemacht hat, wartete sie am nächsten Morgen, bis ihre Mama ihre Hand hielt, die Schwiegermutter aus dem Bad zurück war und wir alle sie berührten, um dann für immer von uns zu gehen. Eine Erlösung für Sophia, aber eine unglaublich große Lücke, die sie bei uns hinterlässt.






Nun sind wir hier auf Sylt, der Insel, auf der wir vor genau zwei Jahren den einzigen gemeinsamen Urlaub mit Sophia verbrachten. Hier wollten wir uns weiter von unserem tapferen Engel würdig verabschieden, in dem wir an die Orte gingen, an denen wir mit Sophia waren und die unserer großen Mulle so gut gefallen haben. Sophia reißt ein riesiges Loch in unser Leben, und wahrscheinlich werden wir es nie begreifen können.


Aber wir hoffen, dass Sophia mittlerweile im Paradies angekommen ist und es ihr dort so gut geht, wie sie es verdient hat.


Für uns wird es wichtig sein, das Geschehene zu verarbeiten. Dieser Brief hilft dabei, und wir hoffen sehr, dass diese Geschichte über unsere Sophia mit ihrem überall dabei gewesenen Kuscheltier „Nana" den Entdecker dieser Flaschenpost ebenso berühren und an Sophia denken lassen wird, wie alle Menschen, die Sophia auf ihrem viel zu kurzen Weg geholfen haben.


In tiefem, unendlich liebevollen Gedenken an meine Tochter Sophia.


Herzlichst


Dein Papa Karsten


 


 


„Manchmal bist Du in unseren Träumen,
oft in unseren Gedanken
und immer in unseren Herzen."

 

Ich möchte dazu beitragen, dass Kindern mit der Diagnose Krebs in Zukunft besser geholfen werden kann
powered by webEdition CMS